27.04.2024
Was haben der Anführer des Weltproletariats und ein deutscher Philosophieprofessor aus Königsberg gemeinsam? Sie haben am gleichen Tag Geburtstag. Und zum ersten Mal in der Geschichte meiner Heimat wurde der Geburtstag von Immanuel Kant größer und lauter gefeiert als der von Lenin. Zuerst der russische Präsident, dann der Gouverneur von Kaliningrader Gebiet und schließlich alle Regierungsmedien Russlands haben Kant zum Jubiläum gratuliert. In Kaliningrad wurde ein Internationaler Philosophie-Kongress abgehalten, unter dem Motto „Kant – eine russische Trophäe“. Der junge Gouverneur des Kaliningrader Gebiets Alichanow eröffnete den Kongress mit einer Anschuldigungsrede, er gab dem deutschen Philosophen die Schuld für den russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Der Gouverneur behauptete, bereits der Erste Weltkrieg habe auf Grundlage des Kantischen Imperatives begonnen. Auch den aktuellen Konflikt in der Ukraine habe Kant, der geistige Väter des verdorbenen liberalen Westens angestachelt. Im Saal des Kongresses anwesenden Philosophen, die aus privaten oder beruflichen Gründen es nicht geschafft haben, zeitig ihre im Wahn des sinnlosen Krieges versunkene Heimat zu verlassen, nickten dem Gouverneur mit Verständnis zu. In solchen Fällen ist es immer besser, nicht zu widersprechen, man weiß nicht, was die Redeschreiber des jungen Politikers zuhause rauchen, es muss auf jeden Fall starkes Zeug sein. „Kant wird als ideologische Waffe gegen Russland benutzt, die Ideen seiner politischen Philosophie werden heute angewendet um die russische politische Führung zu diskreditieren, mit seinem Namen versucht der Westen die Körner des Separatismus in Kaliningrad zu sähen. Wir müssen mit dieser Trophäe vorsichtig umgehen und sie gegen unsere Feinde, gegen den liberalen Westen richten“ so fasste es der Gouverneur zusammen.
Der russische Präsident, der vor diesem Hintergrund einen gemäßigten weisen Anführer spielt, behauptete dagegen, Russland agiere streng nach Kant und will nur den ewigen Frieden. Für alle unerwartet mischte sich plötzlich der Bundeskanzler Olaf Scholz in diese philosophische Debatte ein. Mutig und entschlossen hatte in letzter Sekunde den Kant dem russischen Diktator quasi aus der Hand entrissen. Putin habe nicht das geringste Recht den großen deutschen Philosophen an seiner Seite herumzuzeigen! sagte Olaf Scholz in seiner Festrede zum Kants Geburtstag. Damit war die Ehre des Philosophen gerettet. In dem ganzen philosophischen Schlamassel ist nun der Führer des Weltproletariats samt seinem Geburtstag vollkommen in Vergessenheit geraten. Wladimir Lenin wurde von Putin nicht erwähnt und von Scholz ignoriert. Nicht einmal die Pioniere mit Blumen sind zu ihm gekommen.
Er liegt still in seinem Kristallsarg auf dem Roten Platz und nimmt an der aktuellen Debatte nicht teil, ganz nach Kantischem Imperativ: wenn Du nichts zu sagen hast, schweig.